Geschichte

Vorläufer

Seit Anfang des 17. Jahrhunderts entwickelte sich die Kunst des Bone-Setting (Einrichten von Knochen und Gelenken). Ein zentrales Thema der „Bone-Setter“ waren tastbare Gelenkfehlstellungen, die sie ursächlich als muskulär ausgelöst betrachteten und auch entsprechend behandelten. „Bone-Setter“ behandelten nicht nur tatsächliche Luxationen oder Knochenbrüche,  sondern verstanden sich – historisch betrachtet – auch als bessere Alternative zur zeitgenössischen Schulmedizin. Weiter Einflüsse sind die Medizin der Shawnee-Indianer (Schamanismus) und  alternativen Heilmethoden wie Magnetismus, spiritistische Heilsitzungen etc.

 

Andrew Taylor

Andrew Taylor Still (1828-1917)

A.T. Still begründete am 22. Juni 1874 die Osteopathie als „neue Wissenschaft“.
Bis zum Ausbruch des Amerikanischen Bürgerkrieges 1861 führte Still das typische Leben eines Landarztes. Im Bürgerkrieg war er bis 1864 Feldarzt. Als er am Ende des Bürgerkrieges aus der Armee entlassen wurde, erfuhr er eine schwere persönliche Krise: drei seiner Kinder fielen einer Meningitisepidemie zum Opfer und ein Monat danach starb ein weiteres seiner Kinder an einer Pneumonie. Dieses Unvermögen, mit seinen damaligen medizinischen Kenntnissen seine eigene Familie zu retten, zusammen mit den Erfahrungen, die er im Bürgerkrieg gemacht hatte, brachten Still dazu neue Wege in der Medizin zu suchen. Stills Forschungen basierten auf einem genauen Studium der Anatomie. Es wird davon ausgegangen, dass er die Methode des Bone-Settings kannte und möglicherweise auch beherrschte. Gleichzeitig gilt er auch als interessiert an anderen wissenschaftlichen Strömungen seiner Zeit, wie der Darwinschen Evolutionstheorie und der Theorie von John M. Neil über die Selbstheilungskräfte des Körpers. Still präsentierte am 22. Juni 1874 die Osteopathie als „neue Wissenschaft“.

Der zusammengesetzte Begriff Osteopathie leitet sich aus den altgriechischen Wörtern Osteo für „Knochen“ und Pathie für „Leiden“ her. Er wählte diese Bezeichnung, da er seine Studien mit den Knochen begonnen hatte, um die Leiden seiner Patienten lindern zu können. Still verließ Kansas und zog nach Kirksville/Missouri und eröffnete dort im März 1875 seine Praxis. Mit seinen Therapiemethoden war er so erfolgreich, dass Patienten von weit her anreisten, um sich von ihm behandeln zu lassen. Da er bald mehr Patienten hatte, als er behandeln konnte, und aufgrund deren Bitten, beschloss er seine Osteopathie zu unterrichten. 1892 gründete er die American School of Osteopathy.

 

John Martin Littlejohn

John Martin Littlejohn (1866-1947)

J.M. Littlejohn wurde am 15.02.1866 in Glasgow als Pfarrerssohn geboren. Er übertrug Stills vorwiegend anatomisch begründetes Konzept auf die gesamte Physiologie und wirkte federführend bei der wissenschaftlichen Anerkennung der Osteopathie mit. Mit Gründung der „British School of Osteopathy“ (BSO) in London (1917), war er auch in hohem Maße an der Verbreitung der Osteopathie in Europa verantwortlich.

Ein glänzender Intellekt
In Glasgow erwarb Littljohn mehrere Abschlüsse und Auszeichnungen in Jura, Theologie, Medizin, Philosophie und Soziologie und hielt 1886/87 seine ersten Vorlesungen. Das raue Klima und seine Konstitution hatten ihn zu einem introvertiert barschen, aber brillanten und vielseitig gebildeten Analytiker geformt. Zu diesem Zeitpunkt begann er an ernsten Blutungen im Hals zu leiden die ihn zum Klimawechsel zwangen. Eine große Universitätskarriere fand damit ihr jähes Ende.

Amerika
1892 siedelte er mit seinen Brüdern James und William nach Amerika und setzte seine Studien an der Columbia University in New York fort. Aufgrund seiner hervorragenden Leistungen übernahm er schon bald die Leitung des Amity College in College Springs, Iowa. Seine Beschwerden besserten sich allerdings nicht und so kam es 1895 in Kirksville zur schicksalhaften Begegnung mit Dr. Still. Bereits eine Behandlungen führte zur deutlichen Linderung. Da Still dringend qualifizierte Lehrer an seiner 1892 gegründeten American School of Osteopathy benötigte, bot er Littlejohn einen Posten als Physiologielehrer an. Tief beeindruckt von Stills Naturkonzept der Osteopathie willigte er ein, begann 1897 seine Arbeit, schrieb sich ein Jahr später als Student ein und wurde noch im selben Jahr Schuldekan. Innerhalb der Fakultät gab es jedoch schon bald einen tiefen Konflikt: Stills Anhängern galt der anatomische Zugang zur Osteopathie als heilig. Littlejohn und seinen Brüdern schien dies zu einfach; sie betrachteten die komplexere Physiologie als Kern der Osteopathie. Aber es ging auch um einen zeitlosen Konflikt: Akademisch gebildete Ärzte standen praxisorientierten Osteopathen gegenüber. Mit seinen Brüdern ging er nach Chicago und gründete dort 1900 das Chicago College of Osteopathy. Der Unterricht wurde in den theoretischen Fächern erweitert und die Physiologie als Kernfach etabliert

England
1913 zog die inzwischen achtköpfige Familie Littlejohn nach Bagger Hall nahe London und John Martin begann noch während der Kriegsjahre mit ‚Krankenhausarbeit’ und ‚Unterweisungen’. 1917 gründete er mit der British School of Osteopathy in London und mit dem Journal of Osteopathy legte er endgültig das osteopathische Fundament Europas.

Stellte Still Körper und Seele der Osteopathie dar, so war John Martin Littlejohn unbestritten ihr Verstand. Er erweiterte das physiologische Konzept und legte damit einen bedeutenden Grundstein für ihren späteren Siegeszug in Amerika. Die europäische Osteopathie ihrerseits wäre in der heutigen Form ohne ihn undenkbar.

 

William Garner Sutherland

William Garner Sutherland (1873-1954)

W.G. Sutherland, ein Student Stills, erweiterte das osteopathische Konzept auch auf den Bereich des Schädels und begründete damit die kraniale Osteopahtie, die später v. a. von dem amerikanischen Osteopathen John Upledger aus der Osteopathie ausgekoppelt und als eigenständige CranioSacrale Therapie weiterentwickelt wurde. Nach über zwei Jahrzehnten der Forschung im kranialen Bereich wagte sich der sonst stille Sutherland Anfang der 1930er unter einem Pseudonym an seine Berufskollegen. Im Minnesota Osteopathic Journal unterbreitete er erstmals die Grundideen seines Konzeptes, welches zu jener Zeit den „Primären Respiratorischen Mechanismus“ (PRM) noch nicht beinhaltete. Die Reaktionen auf seine Kolumne waren äußerst unterschiedlich, von vehementer Ablehnung, bis zur ehrlichen Ermunterung zu weiteren Forschungen in diesem Gebiet. Aufgrund des steigenden Interesses einer kleinen Gruppe Osteopathen veröffentlichte Sutherland 1939 das Büchlein The Cranial Bowl, in dem er das Resultat von 40 Jahren Forschung auf wenigen Seiten darlegt. Trotz des mäßigen Echos fährt er fort, die kraniale Osteopathie immer weiter zu vertiefen.

Mitte der 1940er überrascht er seine Kollegen erneut mit einer bahnbrechenden Neuerung: Sutherland beginnt in seinen Seminaren zunächst noch zurückhaltend, später immer offener die Begriffe „flüssiges Licht“, „Potency“ und „Primärer Respiratorischer Mechanismus“ (PRM) in Verbindung mit dem bekannten Bibelausdruck „Atem des Lebens“ zu erläutern. In diesem Zusammenhang dürfte er vom amerikanischen Philosophen und Künstler Walter Russell ebenso nachhaltig beeinflusst worden sein, wie ehemals Still vom englischen Philosophen Herbert Spencer. In Sutherlands offener Benennung und Betonung der Spiritualität zeigt er sich ganz in der Tradition seines verehrten Lehrers, denn auch Still hatte metaphysische Aspekte zeitlebens als natürlichen Bestandteil der dreifach differenzierten Einheit des Menschen gesehen. Sutherland betonte vor diesem Hintergrund zudem oft und nachdrücklich, dass seine inzwischen als Kraniosakrale Osteopathie bezeichnete Methode als integraler Bestandteil der traditionellen Osteopathie zu verstehen ist und unter keinen Umständen eine eigenständige Behandlungsform darstellt.